Kurze Geschichten über unsere alltäglichen Missverständnisse und Probleme
Irgendwann stolpert jeder Schüler und jede Schülerin während der Schulzeit über die Kurzgeschichten von Wohmann, Bichsel oder Hemingway.
Oft erkennen die jungen Menschen sich auch wieder in den zwischenmenschlichen Konflikten, den Eltern-Kind-Auseinandersetzungen. Sie kennen sich auch schon mit Sorgen und Ängsten aus und wissen über Brüche in den Lebenswegen von Menschen Bescheid.
Einige Schülerinnen und Schüler aus dem 9. Jahrgang haben sich mit den Themen Trennung, Umzug, Existenzsorgen oder Konflikten mit Eltern beschäftigt und eigene Kurzgeschichten verfasst, in die sie auch eigene Erfahrungen haben einfließen lassen.
Bei der Konzentration auf nur wenige Sätze ging es oft um die Suche nach dem passenden Ausdruck, der geeigneten Umschreibung für eine Situation oder ein Gefühl.
Die hier vorgestellte Auswahl zeigt eindrücklich, dass schon eine Überschrift oder die ersten Sätze eine große Wirkung entfalten können und ernste Themen auch mit Humor erzählt werden können.
Brüder
Man sieht, dass er sich beim Aufräumen der Wohnung Mühe gegeben hat. Trotzdem ist es dreckig. Ein Teil der Tapete ist abgerissen, als wenn jemand renovieren wollte und nach 10 Minuten aufgegeben hätte. An der Wand sieht man schwarze Ascheflecken von ausgedrückten Zigarettenstummeln und in einer Ecke steht ein umgekippter Futternapf. „Ist nicht das beste Heim“, sagt er. „Komm rein, Brüderchen“.
Ich putze meine Schuhe auf einer zerschlissenen Fußmatte mit einer psychopathisch dreinblickenden Katze ab. „Ist von Alice im Wunderland“, sagt er, als er meinen verwirrten Blick sieht. „Kein Wunder, dass du keinen Besuch bekommst“, murmel ich. Den Rest des Tages reden wir nicht mehr viel. Ich liege in meinem neuen Bett und starre an die Decke. Es ist komisch nun hier zu wohnen. Vor seinem Anruf dachte ich, er hätte mich schon längst vergessen. Es war der zweite Anruf seitdem unsere Mutter starb. Auf der Beerdigung war er anwesend, ich hatte ihn mit seinem zerzausten Vollbart fast nicht erkannt. Ich muss grinsen, schrecklich sieht das aus. Als er mich und unsere Mutter mit unserem Vater verließ, war sein Gesicht noch voller Pickel. Er hatte sich nie gut mit unserer Mutter verstanden. Ich hätte nie gedacht, dass er zu der Beerdigung kommen würde. Höchstwahrscheinlich war es aus Respekt vor ihr und Anerkennung. Meine Tür geht auf. „Ich bestelle etwas zu essen, willst du was Bestimmtes?“, fragt er. „Nein, ein paar Pommes würden mir reichen“, antworte ich.
Er will die Tür gerade wieder schließen, als ich sage: „Hey Tobi, danke, dass du mich aufgenommen hast“. „Irgendwer muss sich ja um dich kümmern, sonst stürzt du noch völlig ab“, erwidert er. Ich gähne. „Musst du gerade sagen“. Er grinst und schließt meine Tür. Ich wollte mich eigentlich gegen sein Angebot entscheiden. All die Jahre hatte er sich nicht gemeldet und auf einmal ruft er an und bietet mir eine Wohngelegenheit an. Ich hätte allerdings schwer ablehnen können, ich bin noch minderjährig. Aber wenn ich so drüber nachdenke, könnte es doch ganz interessant werden.
Tim Jierchhoff
Jahrgang 09
Anders sein
Warum ist anders sein manchmal so schwer? Jeder ist anders, aber ich bin irgendwie immer ganz anders. Ich habe schon vielen diese Geschichte erzählt, manchmal muss ich es einfach loswerden. Jetzt erzähle ich dir die Geschichte über mich und was mich ausmacht. Mein Name ist Luca und ich bin 15 Jahre alt. Ich bin seit 5 Jahren sehr, sehr groß. Um genau zu sein bin ich ein 1,95 Meter. Viele sagen, ich bin ein Alien. Ich habe jetzt gelernt, zu ignorieren und erzähle den Leuten, warum ich so groß bin. Es ist eine genetische Störung, bei der mein Körper doppelt so schnell wächst wie alle anderen in meinem Alter. Ich fühle mich etwas unwohl, da ich so groß sein nicht so schön finde. Obwohl es mir eigentlich nicht peinlich sein sollte, ist es mir sehr peinlich. Meine Eltern haben gesagt, das ist völlig ok ist, anders zu sein, da es eine Besonderheit ist. Aber ich weiß nicht, ob ich damit übereinstimme. Denn ich finde, das besonders sein nicht immer eine gute Sache ist. Inzwischen akzeptiere ich meinen Körper so wie er ist, auch wenn es mehrere Jahre gedauert hat. Viele Dinge machen mich auf eine besondere Art und Weise anders. Aber dann ist da noch eine Sache….
Chantal Schleper
Jahrgang 09
Das Geschenk
Er klopft an meine Zimmertür. Doch ich habe gerade nicht die Nerven, um mit ihm zu reden. Ich hoffe, er geht einfach. Er kommt rein und ich merke, wie sich mein Magen dreht. Ich sehe, wie er ein Geschenk auf meinen Tisch stellt. Toll, will er mich jetzt auch noch bestechen? „Öffne es ruhig“, sagt er in einem ruhigen Ton. Ich öffne das Geschenk und er zittert leicht. Es ist ein selbst gebasteltes Fotobuch, er guckt mich hoffnungsvoll an, doch alles was ich sagen kann, ist „Okay“ und auf einmal geht er ohne ein Wort zu sagen aus meinem Zimmer.
Die ganze nächste Woche ignorieren wir uns, vielleicht mal ein Hallo hier und da, aber mehr nicht. Heute übernachte ich bei einer Freundin, weil ich keine Lust habe, heute zu Hause zu sein. Es ist schon spät und wir wollen schlafen gehen, doch ich kriege einen Anruf von Mama. Sie beginnt zu weinen und ich frage was los ist. Ihre Stimme zittert und sie sagt: „Dein Stiefvater ist im Krankenhaus“. Sie sagt, dass sie mich morgen abholen wird und mir dann alles erklärt, doch die Nachricht sitzt wie ein Klotz im Hals. Diese Nacht bekomme ich kein Auge zu, dabei mag ich ihn ja gar nicht. Am nächsten Tag bin ich wieder in meinem Zimmer und schaue mir ein Bild aus dem Fotobuch an. Da sind wir beide im Urlaub am Strand und ich huckepack auf seinem Rücken. Jetzt mache ich mich auf den Weg mit dem Fahrrad.
Marie Wenzel
Jahrgang 09
Was ist Freundschaft?
Mir ist unwohl, ich gehe durch die schlafende Stadt, während ich merke, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich spüre den Wind in meinen Rücken pusten. Die großen Gebäude werfen ihre Schatten auf mich und ich kann mich kaum halten. Ich taumel hin und her, nach dieser Feier ist mir irgendwie total schlecht. Ich habe aber nichts wirklich Schlimmes getrunken. Ich bin gerade mal 16 und Sophie und ihren Freundinnen haben mir ein Getränk ausgegeben. Jetzt kann ich nicht mehr klar denken, mir ist so schwindelig, alles scheint verschwommen. Aber sie würden doch nicht – Nein, niemals – und plötzlich wird alles dunkel vor Augen. Ich kann noch schwach Gelächter hinter mir hören, stolpere über meinen eigenen Fuß, dann nur noch Stille.
Ich wache auf. Das erste, das ich sehe, als ich mühsam meine Augen öffne, ist das Gesicht meiner besten Freundin Lilli. An ihrem Gesichtsausdruck kann ich erkennen, dass sie besorgt ist, aber gleichzeitig auch erleichtert. Mein Kopf platzt gleich, diese Kopfschmerzen bringen mich um. Ich lasse mich zurück in das Krankenhausbett fallen. „War das Sophie?“, frage ich Lilli mit schwacher Stimme. Ihr steigen Tränen in die Augen. Sie atmet tief durch und ich bin verwirrt. Sie schaut auf den Boden und nickt. „Bist du denn gar nicht sauer auf mich?“ Ich schüttele den Kopf. Ich merke, dass sie nicht sprechen kann. „Du hast es gesehen, nicht wahr?“, will ich wissen. Sie nickt wieder. Ich muss mich erholen. Ich werde mich endlich zusammenreißen und mich gemeinsam mit Lilli gegen die anderen stellen können.
Tessa Voth
Jahrgang 09
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